Matter als neuer Smart-Home-Standard und seine Implikationen besonders für das SHK-Handwerk. (Teil 1/2)
In einem vernetzten Zuhause sieht es häufig noch so aus: Die Lampen werden mittels ZigBee gesteuert, die Heizung nutzt ein proprietäres System, die smarten Thermostate „verstehen“ nur WLAN. Zusätzlich gibt es noch ein paar Steckdosen, die via DECT geschaltet werden können. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere „Standards“ wie zum Beispiel Z-Wave, KNX oder EnOcean (vgl. Abb.1). Matter wird der neue Standard für das Smart Home der Zukunft werden. Das zentrale Versprechen von Matter: Mit ihm lassen sich Smart-Home-Komponenten einfacher und vor allem einheitlicher vernetzen. Gerade weil Matter so vielversprechend ist, möchte ich mich in diesem Blog-Artikel diesem neuen Standard widmen.
Die Herausforderung: Diversität und Inkompatibilität
Die Vielzahl in der Grafik dargestellten Vernetzungsstandards täuscht darüber hinweg, dass sie allesamt aus dem Bestreben entstanden sind, ein einheitliches System für das Smart Home zu schaffen. Meist haben sich mehrere Hersteller zusammengeschlossen und sich auf einen funk- oder kabelbasierten Standard geeinigt. Doch schon von Anfang an fuhren viele dieser Hersteller zwei- oder mehrgleisig und waren Teil mehrerer Zusammenschlüsse. Das Resultat: Bis dato gibt es eine Vielfalt an unterschiedlichsten Vernetzungstechniken. An sich wäre das nicht weiter störend, wenn damit nicht einherginge, dass die Systeme untereinander in der Regel nicht kompatibel sind.
Vor allem aus der Perspektive der Nutzer führt dieser Wildwuchs zu einer wenig erfreulichen Erfahrung im Umgang mit einem Smart Home. Meist sind mehrere Apps und / oder Geräte unterschiedlicher Hersteller nötig, um alle Komponenten zu steuern. Gerade darum verbindet sich mit Matter die große Hoffnung, endlich einen wirklich einheitlichen Standard zu schaffen.
Das Ziel: Standardisierung und Harmonisierung
Wer die Tragweite, der mit den unterschiedlichen und inkompatiblen Übertragungstechniken einhergehenden Problematik, verstehen will, kann sich dies anhand eines Bildes veranschaulichen. Dazu stelle man sich ein Straßenbahnnetz vor. Eine Person will von A nach B kommen. Dafür gibt es festgelegte Wege, die das ermöglichen. Die Straßenbahnschienen sind die Transportwege, die Bahnen selbst das Transportmittel. In jedem Transportmittel gibt es darüber hinaus Regeln: Jeder Fahrgast braucht ein gültiges Ticket, Fahrräder dürfen nur an bestimmten Stellen abgestellt werden, u. s. w.
Genau auf dieser Ebene des Bildes setzt Matter an. Aufgrund des einheitlichen Standards sind die Regeln innerhalb der Transportmittel überall gleich. Ein Fahrgast, der die Regel für ein Straßenbahnnetz verstanden hat, kann sich in jeder beliebigen Stadt fortbewegen. Darum ist Matter selbst auch kein eigenes Smart-Home-System, sondern lediglich eine Lösung, mit der es möglich ist, alle Geräte innerhalb eines Gebäudes zu verbinden. Für Aufgaben wie Automatisierung oder Steuerung bleibt nach wie vor das übergeordnete System zuständig.
Matter ist damit eher etwas wie ein neuer Verbindungsstandard, zählt also in den Bereich von Übertragungsprotokollen. Gleichzeitig geht er darüber hinaus, weil er sowohl die Regeln für den Transport von Daten als auch deren Inhalt regelt. Genau deshalb ist Matter so vielversprechend. Wenn das Projekt erfolgreich ist, gehören die Kompatibilitätslisten, mit denen viele SHK-Betriebe derzeit arbeiten müssen, der Vergangenheit an.
Die Lösung: Matter als integrativer Systemansatz
Matter geht ursprünglich auf eine gemeinsame Initiative von Unternehmen wie Amazon, Apple, Comcast, Google, SmartThings und der damaligen Zigbee Allianz zurück. Dabei gab es bereits einen Vorläufer des Projekts. Ende 2019 riefen die Gründungsmitglieder ein Projekt namens „Connected Home over IP“ ins Leben, das später unter der Abkürzung CHIP bekannt wurde. Inzwischen gehören mehr als 200 Mitglieder zu dieser damals entstandenen Arbeitsgruppe. Seither arbeiten rund 2.000 Ingenieure und Entwickler weltweit an Matter. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist ein Software-Code, der quelloffen (open source) und damit für jedermann frei zugänglich ist.
Matter stellt damit eine neue, gemeinsame Basis für die Steuerung von Smart-Home-Produkten dar. Ein und dieselbe Komponente kann in verschiedenen Systemen funktionieren. Eine Glühbirne, die mit dem Apple HomeKit gesteuert wird, funktioniert künftig auch mit dem Google Assistant, Amazons Alexa oder jeder anderen Smart-Home-Lösung. Dank einer speziellen Funktion („Multi-Admin“) ist es unter Matter sogar möglich, mehrere Smart-Home-Systeme gleichzeitig zu betreiben.
Macht Matter Alexa, Siri & Co überflüssig?
Die Lösungen, die Unternehmen bisher im Bereich Smart Home entwickelt haben wie HomeKit, Alexa, SmartThings und viele andere mehr, werden durch Matter nicht verschwinden. Auch überflüssig werden diese Lösungen nicht. Vielmehr werden sie ergänzt und „im Inneren“ durch eine Art gemeinsame Sprache vereinheitlicht. Das ist auch eine gute Nachricht für Endkunden: Alle bisherigen Geräte sind auch nach der Umstellung auf Matter weiterhin mit ihren bisherigen Systemen steuerbar. Mehr noch: Die Nutzer erhalten zusätzlich die Möglichkeit, mit jeder beliebigen anderen Smart-Home-App bzw. -Plattform steuern. Es ist sogar möglich, eine vernetzte Heizung mit Alexa anzuschalten und mit Siri wieder auszuschalten.
Set-up und Implementierung
Endkunden profitieren aber auch noch von der erleichterten und vereinheitlichten Einrichtung, dem Set-up und der Implementierung von Geräten, die auf Matter basieren. Denn dafür ist im Prinzip nicht einmal mehr eine App des Herstellers nötig. Vielmehr können die übergeordneten Systeme wie Alexa, HomeKit oder Google Assistant diese Aufgabe übernehmen. Beim nahtlosen Einbinden von jeglichen Matter-kompatiblen Geräten wird darum auch von „seamless integration“ gesprochen. Auch das Anlegen von Accounts bei jedem Hersteller wird damit theoretisch überflüssig.
Wie so ein „Frustration Free Set-up” konkret aussieht, haben einzelne Hersteller bereits vorgeführt. Wird ein Matter-Gerät in Betrieb genommen, taucht es als Pop-up auf den in der Nähe befindlichen Smartphones auf. Dieses Verhalten kennt man bereits von Bluetooth Kopfhörern als „Fast Pairing“. Danach genügt es, den QR-Code auf dem Gerät zu scannen, um es über eine App in das vorhandene System einzubinden.
Sicherheit und System-Updates
Ein weiterer wichtiger Vorteil, der sich aus der gemeinsamen Zusammenarbeit der Hersteller unter dem Matter-Schirm ergibt, ist: Sicherheit. Dazu wird auf die Blockchain-Technologie gesetzt, deren hohe kryptografische Standards bereits durch Kryptowährungen wie Bitcoin oder Etherium größere Bekanntheit erhalten haben. Das Prinzip der Blockchain – die aus einer lückenlosen Aneinanderreihung von verschlüsselten Datenblöcken besteht – ermöglicht einen transparenten Verlauf aller Aktivitäten auf dem Gerät. Vom Moment der Herstellung in der Fabrik bis hin zum letzten System-Update.
Auch im Smart Home sorgt die Blockchain für manipulationssichere Verbindung zwischen den einzelnen Komponenten. Zudem wird jede Information, die innerhalb eines Netzwerks via Matter ausgetauscht wird, „abhörsicher“ verschlüsselt und authentifiziert. Nicht autorisierte Akteure haben damit keinen Zugriff auf das Smart Home. Auch Angriffe von Hackern können mit diesen Sicherheitsmaßnahmen verhindert bzw. ausgeschlossen werden.
Welche Vorteile hat Matter?
· Viele Hersteller, ein Smart Home: Für Endkunden bedeutet das, dass sie unabhängig vom HerstellerProdukte kaufen können, die sich garantiert in ihr Smart Home integrieren lassen.
· Günstigere Entwicklung: Für die Gerätehersteller wird die Entwicklung von Smart-Home-Komponenten günstiger, denn sie müssen Software und Funktechnik nicht mehr an verschiedene Systeme anpassen.
· Mehr Sicherheit: Durch die Zertifizierung sowie die Verwendung von verschlüsselter Blockchain-Technologie wird sichergestellt, dass es keine Sicherheitslücken im Ökosystem gibt, das Netzwerk stabil bleibt und Informationen können „abhörsicher“ übertragen werden.
· Zentrale & flexible App-Steuerung: Im Idealfall können Nutzer ihr gesamtes Smart Home über eine App auf dem Smartphone oder Tablet steuern. Alternativ können sie flexibel mehrere Systeme nebeneinander oder in Kombination nutzen. – beziehungsweise über die von ihnen gewählte Sprachsteuerung
· Netzwerk-Effekt: Aufgrund der erwarteten hohen Verbreitung von Matter ist mit zahlreichen Foren oder Messenger-Gruppen zu rechnen, über die sich Nutzer künftig austauschen und gegenseitig mit Tipps versorgen können.
Was sind die Nachteile von Matter?
· Marktdominanz: Wenn große Unternehmen wie Apple, Amazon und Google sich abstimmen und bestimmen, wohin sich der Markt bewegt, muss das zwar nicht per se negativ sein, kann aber nachteilige Auswirkungen auf kleinere Hersteller haben. Diese müssen sich der Marktdominanz der Großen häufig beugen.
· Bedeutungsverlust anderer Systeme: Der Smart-Home-Markt wird sich durch Matter verändern. Nicht nur für kleinere Player, sondern auch für andere Systeme, die sich nicht auf den neuen Standard einlassen, könnte dies das Aus bedeuten. Kunden, die in Vergangenheit auf sie gesetzt haben, hätten das Nachsehen.
· Auswirkung auf Herstellerstrategien: Die Durchsetzung des Matter-Standards wird dazu führen, dass grundlegende Smart-Home-Komponenten wie Sensoren, Zwischenstecker, Leuchtmittel, Türschlösser oder Thermostate austauschbarer werden. Der Preis wird dann zum ausschlaggebenden Argument und höherwertige Produkte würden weniger nachgefragt. Für einzelne Hersteller könnte dies zu einem Problem werden.
Ausblick: Verbreitung und Marktdurchdringung
Noch stehen wir am Anfang der Entwicklung. Die Definition eines neuen Standards ist das eine, dessen Durchsetzung das andere. Wie lange die Umsetzung dauern kann, zeigt ein Blick auf die Entwicklung des WLANs. Nicht selten dauert es Jahre, bis sich eine neue Variante verbreitet hat. Allerdings könnte dies bei Matter deutlich schneller gehen. Zum einen deswegen, weil viele Geräte bereits in Benutzung sind und nur deren „Sprache“ und das Regelsystem geändert wird. Darauf wurden viele Produkte bereits vorbereitet. Zum anderen haben die Hersteller der Matter-Allianz wie bereits erwähnt eine gewisse Marktdominanz, die ihnen strategische Vorteile verschafft.
Trotz einer gewissen Vorsicht bei der Bewertung werden die Entwicklung und die Zukunft von Matter sehr positiv bewertet. In der Tat hat der neue Standard das Potenzial, sich im Bereich Smart Home durchzusetzen. Seit vielen Jahren ist das Fehlen eines gemeinsamen Standards und die damit einhergehende Inkompatibilität als Problem bekannt.
Wird Matter vorhandene SH-Systeme ersetzen?
Eine Initiative in dieser Größenordnung ist beispiellos und stellt unter Beweis, wie groß das Problem der Inkompatibilität im Smart-Home-Bereich bislang war. Für viele Endkunden stellt sich angesichts dieser Entwicklung aktuell jedoch die Frage, ob sie mit der Planung ihres Smart Home warten sollten. Diese Frage lässt sich jedoch nicht ganz einfach beantworten. Auch wenn der Ansatz vielversprechend ist, fehlen Langzeiterfahrungen damit. Auch zertifizierte Produkte gibt es zum Zeitpunkt des Verfassens des Artikels noch nicht. Durch die anhaltenden globalen Lieferschwierigkeiten zögern sich bereits angekündigte Termine zusätzlich immer weiter hinaus.
Fazit: Das Smart Home der Zukunft spricht Matter
Derzeit ist es also weder möglich, ein Smart Home auf Matter-Basis zu planen, noch problemlos, auf die alten Standards zu setzen. Denn auch bei Letzteren ist Vorsicht geboten. Einige Hersteller, die bislang auf ZigBee oder Z-Wave setzten, haben zwar angekündigt, zu einem späteren Zeitpunkt Übergangslösungen anzubieten. Insofern sollten sich Kunden hier genau beraten lassen, welche Lösungen zukunftsfähig sind. Aus noch einem anderen Grund lohnt es sich aber, bei Neuanschaffungen künftig Geräte daraufhin zu prüfen, ob sie auf Matter vorbereitet sind. Die gesamte Branche scheint sich ziemlich geschlossen hinter den neuen Standard zu stellen. Und so eine Geschlossenheit und Einigkeit ist viel versprechend.